Die unvermittelte Kommunikation unter dem Ereignisdruck führt dabei immer wieder zu Sprech- und Handlungsverlegenheit: eine Schieflage in der Begegnung, die durch Voreingenommenheit, Fehleinschätzung, fehlendes Wissen und einem Mangel an gemeinsamer Perspektive entsteht.
Thematisch finden weitere Herausforderungen an die persönliche und berufliche Orientierung von Lehrenden Berücksichtigung: das öffentlich gemachte Unbehagen gegenüber sichtbaren religiösen Lebensstilen, Islam-, Frauen- und Diversitätsfeindlichkeit, defizitäre religionspolitische Leitmotive, illiberale Auffassungen von Staat und Gesellschaft, der „Antisemitismus der Anderen“ oder Religion einerseits als blinder Fleck in der sozialempirischen Forschung, andererseits als Gegenstand der Diffamierung in den einschlägigen Berichten des UN Hochkommissariats für Menschenrechtsfragen.
Antisemitische Erzählungen sind tief in die europäische Kulturgeschichte eingeschrieben. Über Jahrhunderte haben sich antijüdische Feindbildkonstruktionen zum „Gerücht über die Juden“ (Adorno) verdichtet. Im antisemitischen Weltbild fungieren Jüdinnen und Juden als ‚Verkörperung' abstrakter, unverstandener und/oder negativer Phänomene der Moderne. Auch nach dem Zivilisationsbruch der Shoah wirken antisemitische Ressentiments fort und sind noch heute Teil des kollektiven Bewusstseins moderner Gesellschaften.
Wie kommen die durch Erzählung vermittelten Erinnerungen und die Erfahrung unmittelbarer Betroffenheit zusammen? Wie positionieren sich Angehörige der 3. Generation nach der Shoah im Verhältnis zur deutschen ‘Erinnerungskultur’ angesichts des Wunsches, jüdisches Leben nicht ausschließlich im Kontext von Shoah und Antisemitismus zu thematisieren? Was bedeutet die veränderte Gegenwart seit dem 7. Oktober für die Positionierung dieser und der nächsten Generation?
Die Veranstaltung lädt dazu ein, diese und weitere Fragen zu reflektieren und jüdische Positionierungen zu verstehen, in der unterschiedliche Erfahrungen der Generationen Ausdruck finden. Dabei werden verschiedene Perspektiven zusammengebracht und ein Raum eröffnet, in dem das Spannungsfeld zwischen jüdischen Erfahrungen und dem postmigrantischen Deutschland thematisiert wird.
Sabena Donath ist die Direktorin der entstehenden Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie wurde in Kapstadt geboren, studierte Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie in Frankfurt am Main. Seit 2012 leitet sie die Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ein jüdisches Bildungsprogramm in Deutschland zu etablieren. In diesem Rahmen forscht und lehrt sie maßgeblich zu Antisemitismus, transgenerativen Auswirkungen der Shoah und pluralen jüdischen Gegenwarten in der postmigrantischen Gesellschaft. Sabena Donath versteht es als ihre Aufgabe, diese Positionen wissenschaftlich einzuordnen und ihnen Sichtbarkeit zu verleihen.
Die gegenwärtigen religionsbezogenen Diskurse in Deutschland folgen einem kulturgeschichtlich gewachsenen Kirchenverständnis: die Rahmung von Religionsgemeinschaft über formale Zugehörigkeit, Religionsausübung in der Verhältnisbestimmung von subjektivem Recht und forum externum oder die Verhandlung von Lehre zwischen akademischer Theologie, religiöser Institution, organsierter Bewegung und Laientum. Dem gegenüber liegen die Spannungsverhältnisse von Affinität und Distanz zur Religion als sozialer oder von Kirchlichkeit und Säkularität als politischer Rahmung. Auf der dritten Achse bilden sich die Dynamiken der verschränkten Pluralisierung religiöser Bezüge in einer durch Demokratisierung, Globalisierung, Transnationalisierung und Migration vielfältig gewordenen Gesellschaft ab.
Diese drei Achsen ziehen einen Resonanzraum auf, in dem bewährte Muster religiöser Ethnisierung aufscheinen: Judentum und Erinnern, Christentum und Hegemonialität oder Islam und Migration. Unterschiedliche Orientierungen können dabei zur Diffamierung von religiösem Leben oder aber zu mehr Treffsicherheit führen: Erreichen die gängigen Soundbites die relevanten Bezüge des tatsächlichen religiösen Lebens, oder zeichnen sie Zerrbilder? Die Veranstaltung diskutiert hierzu Beispiele, hochschuldidaktische und metatheoretische Bezüge.
Harry Harun Behr, geboren 1962 in Koblenz am Rhein, ist Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Islam an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Mitglied im Rat für Migration. Seine Schwerpunkte liegen in der intersektionalen Bildungsforschung mit besonderem Bezug zu Religion, Gender, Migration, jugendlicher Lebensweltorientierung und Extremismusprävention sowie in der islamischen Bildungslehre und der Fachdidaktik des Islamunterrichts.
In der Freiherr-vom-Stein-Straße gelegen, steht die Frankfurter Westend-Synagoge. Trotz schwerer Beschädigungen während der Reichspogromnacht und der NS-Herrschaft hat dieses historische Gebäude die Zeit überdauert und dient seit 1945 weiterhin als lebendiges Zentrum des Glaubens und der Gemeinschaft. Der Besuch bietet einen Einblick in die reiche Geschichte und Architektur der Westend-Synagoge sowie in die Entwicklung des jüdischen Lebens in Frankfurt. Mit unserer Veranstaltung wollen wir einen Blick in das religiös-traditionelle jüdische (Gemeinde-)Leben werfen und die Synagoge auch als Sozial- und Begegnungsraum begreifbar machen.